Goethes Text zum Höhenbild | ||
Euer
Wohlgeb. haben aus meinen Skizzen neulich eine hervorgesucht, die schon
mehrere Jahre verfertigt ist. Sie gedenken solche dem Publikum
vorzulegen, und ob ich gleich durch Ihre Wahl schon überzeugt bin, daß
Sie derselben eine günstige Aufnahme versprechen, so halte ich es doch
für räthlich, zu Erklärung und Entschuldigung derselben Einiges zu eröffnen.
Ich glaube, dies nicht besser thun zu können, als wenn ich erzähle,
wie dieser leichte, anspruchslose Entwurf entstanden ist. Im
Jahre 1807 sendete mir unser vortrefflicher Alexander von Humboldt seine
Ideen zu einer Geographie der Pflanzen, nebst einem Naturgemälde der
Tropenländer. Die schmeichelhafte Zueignung, womit er mir diesen
kostbaren Band widmete,
erfüllte mich mit Vergnügen und Dankbarkeit. Ich verschlang das Werk,
und wünschte es mir und Andern sogleich völlig genießbar und nützlich
zu machen, woran ich dadurch einigermaßen gehindert wurde, daß meinem
Exemplare der damals noch nicht fertige Plan abgieng. Schnell zog ich an
die beiden Seiten eines länglichen Vierecks die Scale der 4000 Toisen,
und fieng, nach Maßgabe des Werks, vom Chimborasso herein die Berghöhen
einzuzeichnen an, die sich unter meiner Hand wie zufällig zu einer
Landschaft bildeten, Antisana, Cotopaxi, die Meierei, Micuipampa, Quito,
Mexiko an seinen Seen, kamen an ihre Stelle, der höchsten Palme gab ich
einen in die Augen fallenden Platz, und bezeichnete sodann von unten
hinauf die Gränze der Palmen und Pisangs, der Cinchona, ingleichen der
Baumarten, Phanerogamen und Kryptogamen, und um zu bedeuten, daß wir
vom Flußbette, ja von der Meeresfläche zu zählen anfiengen, ließ ich
unten ein Crocodil herausblicken, das zu dem Übrigen etwas colossal
gerathen sein mag. Als
ich mit der Tages- und Lichtseite der Tropenländer so weit fertig war,
gab ich der alten Welt die subordinirte Schattenseite. Hier verfuhr ich,
der Composition wegen, umgekehrt, indem ich den höchsten Berg, den
Montblanc, voransetzte, und das Jungfrauhorn, sodann den Pic von
Teneriffa, und zuletzt den Ätna folgen ließ. Die Höhe des Gotthardts,
das Hospiz an dem Fuße desselben, die Dole, den Brocken, die
Schneekoppe anzudeuten schien mir hinreichend, weil die
dazwischenfallenden Höhen gar leicht von jedem Liebhaber angezeichnet
werden können. Als dies geschehen, zog ich die beiden Schneelinien,
welche, da die höchsten Gebirge der neueren Welt in einer heißeren,
die der alten hingegen in einer kälteren Himmelsgegend sich befinden,
auch gar sehr an Höhe unterschieden sein müssen. Diejenigen
Männer, welche die höchsten Höhen in beiden Welttheilen erklommen,
persönlich anzudeuten, wagte ich kleine Figuren auf die beiden Puncte
zu stellen, und ließ den Luftschiffer Gay Lussac nach seiner Angabe in
Regionen schweben [Fußnote: 1Kb] , wohin vor wenigen Jahren nur die
Einbildungskraft den Menschen hinzuheben wagte. Eine
leichte Illumination sollte diese landschaftliche Darstellung noch
besser auseinander setzen, und so entstand das Bildchen, dem Sie einige
Aufmerksamkeit geschenkt haben. Mehr
wüßte ich nicht zu sagen; nur bemerke ich, daß solche symbolische
Darstellungen, welche eigentlich nur eine sinnliche Anschauung der
tabellarischen Behandlung hinzufügen, billig mit Nachsicht aufgenommen
werden. Sie machen eigentlich weder an ein künstliches noch
wissenschaftliches Verdienst Anspruch; dem Kenntnißreichen dienen sie
zur heitern Wiederholung dessen, was er schon weiß; dem Anfänger zur
Ermunterung, dasjenige künftig genauer kennen zu lernen, was er hier
zum ersten Male und im Allgemeinen erfahren hat. Weimar,
den 8. April 1813. Goethe. WA II, 12, S. 238-240. Was
in diesem dem Höhenbild beigedruckten Brief an den Verleger Bertuch als
authentische Schilderung des Entstehungsprozesses der Zeichnung
erscheint, ist auf die sechs Jahre später entstandene Druckfassung
bezogen. In der ursprünglichen Zeichnung von 1807 hat Goethe auf europäischer
Seite ausschließlich Berge eingetragen, die er selbst gesehen oder
bestiegen hatte: Montblanc, Schreckhorn, Wetterhorn, Ätna, Gotthard, Dôle
und Brocken. Auffallend sind auch die Repräsentation des
Gotthard-Hospizes – es ist das einzige Gebäude auf der europäischen
Seite – und des überproportional breiten Gotthard-Saumweges. Goethes
dreimalige Besteigung des Passes hat hier deutliche Spuren hinterlassen.
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